Gestern hat das Bezirksamt den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung aus der letzten Woche nach § 18 Bezirksverwaltungsgesetz beanstandet. Das führt dazu, dass der Beschluss schwebend unwirksam ist. Die BVV hat nun einen Monat Zeit, auf diese Beanstandung zu reagieren. Sie kann das durch erneute Beschlussfassung und Anrufung der Bezirksaufsicht tun. Reagiert die BVV innerhalb der Monatsfrist nicht, wird der Beschluss nichtig. (Details sind ausführlich im Kommentar des Bezirksverwaltungsgesetzes von Herrn Ottenberg dargestellt, der praktischerweise der Leiter des BVV-Büros im Bezirk ist).
Diese Beanstandung erfolgte mit Ansage, denn bereits im Vorfeld des Beschlusses äußerten sich Stadtrat Schulte und Bezirksbürgermeister Naumann (beide SPD) entsprechend. Dass die BVV darauf reagieren will stand auch schon im Vorfeld fest, denn bereits am Tag des Beschlusses legte man den Termin für die nächste Sonder-BVV fest, den 04.08.2014.
Beschlüsse des Bezirksamts (bestehend aus den 5 Stadträten) werden merheitlich gefasst. Da die Stadträte von der BVV gewählt werden, repräsentiert das Bezirksamt auch die Mehrheitsverhältnisse in der BVV. Der Beschluss wurde mit den Stimmen der CDU, der Grünen, der Piraten und der Linken gefasst. Im Bezirksamt lautet die Verteilung 2 CDU, 1 Grüne, 2 SPD. In der gestrigen Sitzung des Bezirksamtes waren 2 Stadträte im Urlaub (1 CDU und 1 Grüne), die Mehrheitsverhältnisse der Anwesenden waren gestern also 2 SPD zu 1 CDU. Wären alle 5 BA-Mitglieder gestern anwesend gewesen, wäre dieser Beanstandungsbeschluss im Bezirksamt nicht möglich gewesen, wenn alle Stadträte so abgestimmt hätten, wie ihre Fraktionen bei dem BVV-Beschluss.
Mal abgesehen davon, dass urlaubsbedingte Mehrheitsverhältnisse diesen Beanstandungsbeschluss erst ermöglicht haben, widerspricht diese Beanstandung dem aktuell von Stadtrat Schulte eingeholten Gutachten von Prof. Finkelnburg, der sich auf den Seiten 12/13 auch zur Veränderungssperre äußert:
Unter IV.3. seines Gutachtens vom 16.06.2014 gibt er deutlich zu verstehen, dass haushalterische Bedenken einem Erlass erst entgegenstehen, wenn das Abgeordnetenhaus die Deckung eines etwaigen Risikos endgültig abgelehnt hat.
Der eigentliche Skandal ist hier, dass das Bezirksamt dieses Gutachten völlig leugnet. Bezirksbürgermeister Naumann und Stadtrat Schulte geben zwar zu verstehen, dass sie eine etwaige Entschädigung noch gar nicht beziffern können, wiederholen aber gebetsmühlenartig, dass der Senat es mehrfach abgelehnt habe, eine finanzielle Risikoabschirmung vorzunehmen. Mit dieser Behauptung kehren sie die Erklärungen der Finanzverwaltung bewusst um: Die Finanzverwaltung hat noch gar nichts abgelehnt, sondern lediglich darauf verwiesen, dass letztlich der Haushaltsgesetzgeber (also das Abgeordnetenhaus) darüber entscheidet, ob er eine etwaig benötigte Entschädigungssicherung veranschlagt oder nicht.
Bewusst ignoriert wird auch der BVV-Beschluss, den Gutachterausschuss mit der Ermittlung des Entschädigungsrisikos zu beauftragen. Stadtrat Schulte beauftragt lieber im Alleingang einen Gutachter seiner Wahl und enthält jegliche Informationen zur Beauftragung den BVV-Mitgliedern vor (z.B. den Auftrag an den Gutachter, welcher Stichtag wird abgefragt, welche Unterlagen erhält der Gutachter).
Darüber hinaus muss der Bezirk bis zum 23.07.2014 die Begründung für die Berufung gegen das Urteil vom 09.05.2014 abgeben. Naumann und Schulte haben nun durch die Beanstandung erreicht, dass hier die Veränderungssperre nicht angeführt wird, da der Beschluss darüber schwebend unwirksam ist. Herr Prof. Otto, Lehrstuhlinhaber für Bau- und Planungsrecht an der TU hatte die Veränderungssperre für die Berufung extra empfohlen. Insofern führt die Beanstandung möglicherweise zu erheblichen Kosten für den Bezirk, dem in dem Urteil vom 09.05.2014 die Übernahme der Erschließungskosten auferlegt wurde.
Die Vertreter der SPD im Bezirksamt haben also ganze Arbeit geleistet - im Sinne des Investors.
Pressemitteilung des Bezirksamts zu dem Beanstandungsbeschluss
rbb-online "Acht Wochen nach Bürgerentscheid - Kleingartenkolonie Oeynhausen hängt weiter in der Luft"
Berlin-Online "Was wird aus der Kolonie Oeynhausen?"
Bericht in der Abendschau vom 15.07.2014
Berliner Morgenpost "Bezirk stoppt Beschluss zu Kleingartenkolonie"
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Armin Holst (Mittwoch, 16 Juli 2014 09:53)
Ist so ein BA-Beschluss eigentlich umkehrbar, wenn die Mehrheiten daselbst urlaubsbedingt gewechselt haben? Und wann sind Naumann oder Schulte verreist?
Siegfried Nenstiel (Mittwoch, 16 Juli 2014 13:03)
Wem die politischen und rechtlichen Argumente ausgehen, trickst mit der Geschäftsordnung oder schafft urlaubsbedingte Mehrheiten. Wem sind die Bezirksamtsmitglieder Naumann und Schulte eigentlich verpflichtet?
Nina (Mittwoch, 16 Juli 2014 14:55)
Wieviel Geld da wohl an die beiden fließt???
Vielleicht sollte die BVV mal an eine Abwahl denken, wer gewählt wird, kann auch wieder abgewählt werden!!!
Siegfried Schlosser (Mittwoch, 16 Juli 2014 17:31)
ja, den Beschluß zu fassen, wenn das BA nur zu drei Fünfteln besetzt ist, ist - böse. Andererseits hat das BA nur 2 Wochen Zeit, einen solchen Beschluß zu fassen. Und in diesen 2 Wochen sind halt einige Stadträt_innen nicht da...
ich will niemandem unterstellen, daß das Geld fließt, und verpflichtet sind die beiden dem Wohl des Bezirkes. Da allerdings habe ich langsam Zweifel, ob diese Verpflichtung ernst genommen wird.
Zur Abwahl: das wird schwer. Ein entsprechender Antrag muß von 37 BVVlern (oder mehr) unterstützt werden. Auch wenn - wie es in Ferienzeiten durchaus möglich ist - nur 40 oder 45 anwesend sind.
CDU, Grüne, Frau Cieschinger und wir sind zusammen - wenn alle anwesend sind - 37 Stimmen. Aber ob der Ärger bei den Grünen schon so weit ist, diesen Schritt zu gehen - k.A.
Sommer, Frank (Mittwoch, 16 Juli 2014 18:54)
Da haben die beiden Maerchenerzaehler wieder zugeschlagen und wollen uns Buerger/Innen fuer dumm verkaufen. Das zuletzt von Schulte eingeholte Gutachten des Prof. Finkelnburg v. 16.6.2014 spricht eine deutliche Sprache: Der Bezirk kann zur Sicherung des künftigen BPlans IX -205a eine Veränderungssperre beschließen.Von dieser Sperre darf nicht mehr Gebrauch gemacht werden,wenn feststeht, dass Abgeordnetenhaus und Finanzsenator endgültig die für die Entschädigung
erforderlichen Mittel versagen..
Der Finanzsenator hat Herrn Schulte darauf hingewiesen, dass nicht er sondern das Abgeordnetenhaus über die Mittelvergabe zu entscheiden hat. Mittel hat das Bezirksamt bisher beim Parlament nicht beantragt.
Mit der Beanstandung des BVV Beschlusses v. 8.7.14 zeigen Naumann und Schulte ihr wahres Gesicht. Sie wollen unbedingt bauen. Doch wie sagte Mao schon? Der Stein, den du hebst, kann auf deinen eigenen Fuß fallen.
Venceremos
suse (Mittwoch, 16 Juli 2014 23:05)
nun ja, der Herr Naumann hat im Haushaltsausschuss doch quasi schon um Abwahl gebeten- die 2/3 - Mehrheit kommt doch im Urlaubsfall gewiss zusammen......Eine Abwahl müsste ja auch in Abwesenheit möglich sein! Und die Unterstellung des Geldflusses- Schweizer Banken leaken auch mal!!!
Siegfried Schlosser (Donnerstag, 17 Juli 2014)
@Suse:
nein, die 2/3-Mehrheit kommt gerade in der urlaubszeit nicht zusammen, da nicht 2/3 der Anwesenden, sondern 2/3 der Gewählten zustimmen müssen. Heißt: 2/3 von 55, unabhängig davon, wie viele BV zum Zeitpunkt der Abstimmung anwesend sind.
nebenbei würde mich interessieren, was Herr naumann denn da im HH-A gesagt hat.
Rob (Donnerstag, 17 Juli 2014 14:52)
Gärtner werden vertrieben und Grünflächen vernichtet, Künstler aktuell aus ihren Ateliers und der "normale Berliner" nach und nach aus seinem Kiez gedrängt.
Die Stadt verödet und verblödet immer mehr.
Möglich ist das doch nur, weil die Politik dafür die Grundlagen geschaffen hat und es letztendlich auch so will.
Ein starkes Bündnis oder mehr ist gegen SPD und leider auch Grüne und CDU nötig, um einen echten Sinneswandel zu erreichen, denn die verstehen den Bürger-willen nicht mehr.
BVV ist doch der absolute Schwachsinn siehe Oeynhausen und bis vor kurzem Musikschule Wilmerdorf.
Tina (Mittwoch, 23 Juli 2014 23:44)
@ Sigi:
Herr Naumann wurde im Haushaltsausschuss angesprochen, man befürchte, das BA schaffe während der Sommerpause Fakten. Daraufhin antwortete Herr Naumann, wenn man kein Vertrauen mehr in das BA hat, solle man es abwählen. Diejenigen, die nun eine Veränderungssperre fordern bezeichnete er als "Sprachrohr von Maximalforderungspopulisten".
Kaufpreis 600.000 EUR, Entschädigungsforderung 50 Mio - klingt für mich eher nach Maximalforderungspopulist:-)