IGA BERLIN 2017 – DAS TROJANISCHE PFERD, UM BERLINER STADTGRÜN ZU PRIVATISIEREN

Gastbeitrag von Angelika Paul

Herzlichen Dank an den Schriftsteller und Lithographen Siegfried Strauch, der uns diese Zeichnung geschenkt hat und damit einen Beitrag gegen die Zerstörung des Stadtgrüns leisten möchte.
Herzlichen Dank an den Schriftsteller und Lithographen Siegfried Strauch, der uns diese Zeichnung geschenkt hat und damit einen Beitrag gegen die Zerstörung des Stadtgrüns leisten möchte.

Den Berlinerinnen und Berlinern steht Schlimmes bevor.


 „Wir brauchen Wohnungen!” tönt es von politischer Seite. „Wir brauchen Stadtgrün zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und Lebensqualität!” rufen die Bürger und haben Absichtserklärungen und Beschlüssen der Politik [1] [2] sowie Erfahrungen aus anderen Metropolen der Welt hinter sich. Ein kluger Politiker, also ein Senator für Stadtentwicklung und UMWELT (und Regierender Bürgermeister in spe), Michael Müller, sollte das zusammendenken, dessen Haus nach einem Beschluss der Bundesregierung zum Schutz der Biologischen Vielfalt von 2007 eine Berliner Strategie zum Aufhalten des alarmierende Rückgang der biologischen Vielfalt [3], die neben der Arten- auch die Lebensräume- und genetische Vielfalt umschließt, entwickelt hat und unter der Überschrift: „Warum entwickelt Berlin eine Strategie zur Biologischen Vielfalt erklärt: „Das Überleben der Menschen hängt von den vielfältigen Funktionen ab, die direkt oder indirekt durch die biologische Vielfalt gewährleistet werden. Es sind diese Ökosystemdienstleistungen, die die Erde für Menschen bewohnbar machen.” [4] [5]


Berlin verfügt über 44 Prozent Freiflächen, wovon etwa die Hälfte Gewässer sind. Sie haben 2003 nicht ausgereicht, um in einem besonders heißen Sommer das massive Ansteigen der Hitzetoten zu verhindern. Im Rahmen der Erderwärmung werden derartig heiße Sommer zunehmen, wodurch die Stadt auf die Kühlung durch Stadtgrün, das man auch als Klimaanlage einer Stadt bezeichnet, angewiesen ist. Paris verfügt über 23 Prozent Freiflächen; wer es kann, flieht im Sommer wegen der unerträglichen Hitze aus der Stadt, denn die aufgeheizten Häuser kühlen sich auch nachts nicht ab. New York Citiy verfügt über 27 Prozent Freiflächen; hier werden Häuser zugunsten von Grünanlagen zurückgebaut. Durch Singapur laufen die Menschen mit Atemmasken, denn wo sind die Bäume, die die Luft reinigen und die Menschen vor gesundheitsschädlichem Smog bewahren? Warum müssen unsere Politiker diese Fehler kopieren?


Gibt es wirklich in Berlin eine Flächenkonkurrenz, wie uns von Politikern und deren Handlangern suggeriert wird? Nach dem vom Senat vorgestellten Flächenentwicklungsplan [6] gibt es diese NICHT. Berlins Stadtentwicklungs- und Umweltsenator Michael Müller ist stolz darauf, bis 2030 über genügend innerstädtische Flächen für Wohnungsbau und Gewerbe zu verfügen, insgesamt 4941 ha, wovon 16 Prozent Grünflächen (Gärtnereien, Kleingärten, Grün- und Landwirtschaftliche Flächen) betragen, die offenbar als erstes verwertet werden. Gleichzeitig bedauert er, dass „trotz großer Anstrengungen bislang nicht gelungen ist, den Verlust von Lebensräumen und des Genpools zu stoppen” [7]. Und trotzdem verschiebt er eine Internationale GartenBAUausstellung, die IGA Berlin 2017, die nichts mit Wohnungsbau zu tun hat, sondern eine Leistungsschau des gärtnerischen Berufsstandes ist, und die laut Statuten der IGA-Vergeber Deutsche Bundesgartenbaugesellschaft (DBG) mehr Grün in die Stadt bringen soll, um die Lebensqualität derer Bewohnerinnen und Bewohner zu erhöhen, in ein mit vielen Millionen Euro öffentlicher Gelder erfolgreich renaturiertes Feuchtgebiet, in das sich viele vom Aussterben bedrohte Tierarten angesiedelt haben. Die IGA Berlin 2017 zerstört ein Beispiel zur zukunftsfähigen Gestaltung urbaner Regionen auf dem Themenfeld Gewässer, wo u.a. CO2-bindende Flächen geschaffen wurden. Die ursprüngliche Natur im Kienberg-Wuhletal-Gebiet neben den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn-Hellersdorf soll einer „gestalteten” Natur weichen. Das ist so, als ob alte, wertvolle Holzmöbel durch Plastikmobiliar ersetzt werden oder quicklebendige Kinder durch Puppen.


Wollen Sie solch einer Umwandlung tatenlos zusehen?

 

Zudem verbirgt sich dahinter höchstwahrscheinlich ein perfider Plan: Mit der schätzungsweise 100 Millionen Euro teuren, von unseren Steuergeldern finanzierten IGA Berlin 2017 wird ein Landschaft- und Naturgebiet in die Gärten der Welt integriert, die der berlineigenen Grün Berlin GmbH im Zuge dieses geplanten Sommerevents überschrieben wurde. Diese vereinigt unter ihrem Dach bereits Berlins schönste und größte Parkanlagen wie Britzer Garten, Tempelhofer Feld, Naturpark Schöneberger Südgelände, Volkspark Pankow und Mauerpark mit über 700 Hektar und streckt im Rahmen der sogenannten „IGA dezentral” ihre Finger nach weiteren repräsentativen öffentlichen Parkanlagen aus. Aus der Grün Berlin GmbH heraus, deren Aufgaben die Pflege des Stadtgrüns ist, wurde mit unseren Steuergeldern eine Stiftung gegründet, der sämtliche Parkanlagen überschrieben werden sollen. Diese soll vom Senat „aus steuerlichen Gründen” abgekoppelt, also PRIVATISIERT, werden. Der Deal wurde bereits vom Finanzsenator Ulrich Nußbaum abgesegnet. Dann gehören 7 Millionen Quadratmeter öffentlichen Grüns nicht mehr uns allen, und auch das Parlament hat dort kein Recht der Einflussnahme mehr, sondern diese Stiftung kann dann mit den Grünflächen verfahren, wie sie will. Da sie weiterhin mit Steuergeldern unterstützt wird, soll sie offiziell diese pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Aber sie leidet auch unter Finanznot – genauso wie das Bundesland Berlin. Und wie beschafft man sich als GmbH Geld? Beispielsweise durch Eintrittsgelder und durch Vermarktung und Verkauf von Flächen – so wie es Post und Bahn, die ehemaligen Staatsbetriebe, als Privatkonzerne machen.


Wollen Sie das?

 

Das Beispiel des Bürgerentscheids zur Wilmersdorfer Kleingartenanlage Oeynhausen zeigt, dass einige Volksvertreter an den Schaltstellen der Macht die Umsetzung des Votums der 85.000 Bürger des Bezirks schnurz und schnuppe zu sein scheint, die sich gegen die deutliche Mehrheit von 77 Prozent stemmen. Sie scheinen trotz gegenteiliger Beteuerungen alles zu tun, diese Frischluftschneise, die der Investor für 600.000 Euro als Erholungsfläche gekauft hat und wofür Schadenersatzsummen bis zu 50 Millionen Euro im Raum stehen, zur Bebauung an Klaus Groth [8] zuzuchanzen. Ähnliche Beispiele gibt es noch viele in der Landes- und Bezirkspolitik von Berlin.


Angelika Paul / mehr Informationen: www.berliner-gartentisch.net/ IGA-2017-Berlin-Recherche

 

[1] Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt: „Lebensräume, Ökosysteme, Tier- und Pflanzenarten und deren genetische Ressourcen [Biologische Vielfalt] sollen im Einklang mit der Fortentwicklung der Stadt erhalten bleiben.” Broschüre „Berlins Biologische Vielfalt. Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt. Begründung, Themenfelder und strategische Ziele.” Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt


[2] Beschluss des Senats von Berlin vom 13. März 2012 zur Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt. Begründung, Themenfelder und strategische Ziele: In dem Bewusstsein der Bedeutung biologischer Vielfalt für die Bürgerinnen und Bürger und die Stadtgesellschaft Berlins, … in dem Wunsch, bestehende Vorkehrungen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt zu ergänzen und weiter zu entwickeln, bekennt sich der BERLIN ausdrücklich zu den in der „Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt” dargelegten strategischen Zielen und VERFOLGT NACHDRÜCKLICH DEREN ERREICHUNG durch Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen.


[3] Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) 


[4] Broschüre „Berlins Biologische Vielfalt. Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt. Begründung, Themenfelder und strategische Ziele.” Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. S. 6


[5] „Die Zielsetzung der 'Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt' besteht darin, die Funktionen Berliner Grünflächen in ihrer historisch gewachsenen Vielfalt zu stärken und zugleich Spielräume für Naturentwicklung so weit wie möglich zu erweitern.” Broschüre „Berlins Biologische Vielfalt. Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt. Begründung, Themenfelder und strategische Ziele.” Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. S. 23: Ziel 21 – Grünflächen


[6] „Flächenentwicklung in Berlin. 1991 – 2010 – 2030”. Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt : http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/flaechenmonitoring/download/Flaechenentwicklung_in_Berlin_2010.pdf


[7] Broschüre „Berlins Biologische Vielfalt. Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt. Begründung, Themenfelder und strategische Ziele.” Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. S. 3


[8] Film: Der Baulöwe, die Stadt und der Filz

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Kommentare: 1
  • #1

    berlingarten (Dienstag, 11 November 2014 08:05)

    Nein, das möchte ich nicht! Vielen Dank für diesen aufschlussreichen und sauber recherchierten Beitrag.