Die Berliner Kleingärtner sehen sich bei den Senatsplänen zum Ökokonto vernachlässigt
Eines der Leitprojekte als "aufzuwertende Ausgleichsfläche": die Rieselfelder Karolinenhöhe. Foto: Northei
Können Kleingartenanlagen als ökologische Ausgleichsflächen dienen oder nicht? Ein alter Streit erlebt in Berlin gerade eine Neuauflage. Denn die Stadt hat im kommenden Jahrzehnt großen Bedarf an Kompensationsgrün und will dabei neue Wege gehen. Doch offenbar klammert das geplante Ökokonto Kleingartenanlagen einmal mehr aus – sie seien als Ausgleichsflächen im großen Maßstab
ungeeignet. Der Landesverband der Gartenfreunde hält dagegen.
Kaum irgendwo wird so viel gebaut wie in Berlin. Die Stadt wächst weiter und steht gerade vor einem neuen Bauboom. Wenn die ambitionierten Pläne des Senats umgesetzt werden, entstehen im kommenden Jahrzehnt ganze neue Stadtviertel mit Wohnungen, Infrastruktur und Gewerbe, die meisten davon am Rand der Metropole. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat 14 dieser neuen Stadtquartiere mit gesamtstädtischer Bedeutung festgelegt – ob in Blankenburg oder Buch, in Buckow, Lichterfelde oder Köpenick.
174 Hektar werden zusätzlich bebaut
Diese großen und auch zahlreiche kleinere Bauvorhaben werden auf Kosten der Stadtnatur gehen –
das scheint unvermeidlich. Die Grünflächen, die in Berlin immerhin einen Flächenanteil von 41 % haben, werden zu einem Teil bebaut werden. Nach Senatsangaben wird bis 2030 mit einer Neuversiegelung von 174 ha allein durch die neuen Stadtquartiere gerechnet, das entspricht etwa der Fläche von Treptower Park und Britzer Garten zusammen. Das heißt aber nicht, dass unsere grüne Stadt grau werden muss. Denn die Rechtslage ist eindeutig:
Wenn durch Neubauten Grünflächen verloren gehen, muss eine Kompensation geschaffen werden, um die ökologische Balance wiederherzustellen. Das sieht die so genannte Eingriffsregelung vor, die seit über vier Jahrzehnten im deutschen Naturschutzrecht verankert ist und immer weiter konkretisiert wurde.
Doch an der Umsetzung hapert es oft: Viele Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen werden gar nicht oder nur teilweise ausgeführt – auch weil geeignete Freiflächen fehlen. Gerade in Großstädten wie Berlin sind Areale für die ökologische Kompensation rar.
Senat schafft Vorrat an Ausgleichsflächen
Der Senat will deshalb neue Wege beim naturschutzrechtlichen Ausgleich gehen: Im Dezember wurde die Aufstellung eines gesamtstädtischen Ökokontos beschlossen. Auf diesem „Konto“ werden keine Gelder verbucht, sondern es geht um einen Vorrat von Grünflächen, der für ökologische Ausgleichsmaßnahmen bereitgehalten wird. Die Idee: Der Senat geht in Vorleistung und entwickelt schon jetzt neue Grünräume, bevor es zur Versiegelung von Flächen kommt. Werden die geplanten Bauprojekte umgesetzt, dann können die Bauträger den erforderlichen Ausgleich aus dem Ökokonto bestreiten und müssen den Senat kompensieren.
Als Anschubfinanzierung sind zunächst 1,5 Millionen Euro vorgesehen. Die Idee des Ökokontos ist nicht neu: Sie wurde in den letzten 20 Jahren bereits in mehreren Bundesländern gesetzlich verankert und seither von zahlreichen Städten und Gemeinden eingeführt. In Berlin allerdings wurde ein solches Ausgleichskonzept erst vom derzeitigen Senat 2016 wieder auf die Agenda gesetzt und fand sogar Eingang in den Koalitionsvertrag.
Bauplanung soll beschleunigt werden
Profitieren sollen von dem neuen Instrument beide Seiten: das Stadtgrün und der Wohnungsbau. Einerseits soll das Ökokonto höherwertige, längerfristige und besser koordinierte
Ausgleichsmaßnahmen in großem Umfang ermöglichen, andererseits soll die Umsetzung großer Bauvorhaben beschleunigt werden, weil die Suche nach Kompensationsflächen entfällt und
Bebauungspläne schneller aufgestellt werden können. Deshalb sind auch beide Senatorinnen an der Planung des Ökokontos beteiligt.
Umweltverbände sehen das neue Verfahren ebenfalls positiv. „In der Vergangenheit gab es immer wieder Probleme mit der Eingriffsbewältigung“, meint Manfred Schubert, Geschäftsführer der
Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN). „Daher ist die Hoffnung groß, dass es nun zu einer Verbesserung der Anwendung der Eingriffsregelung kommt und das Ökokonto ein Erfolg
wird.“ Vorbehaltlose Zustimmung bedeutet das nicht, denn Schubert setzt so manches Fragezeichen hinter die Senatspläne für das Ökokonto. Entscheidend ist für ihn, ob die ausgewählten
Flächen und Maßnahmen auch tatsächlich eine ökologische Aufwertung bringen – damit steht und fällt der Erfolg aus Sicht der Umweltschützer.
Leitprojekt "Rieselfelder Karolinenhöhe" im Morgennebel.
Foto: Rubus Fruticosus
Große Biotopräume am Stadtrand
Die bisher vorgesehenen konkreten Projekte finden durchaus ihre Zustimmung: Das Ökokonto hat zumindest im ersten Schritt einen klaren Fokus auf großflächige Landschaftsbiotope am Rand der Stadt. Damit soll speziell der Bau der neuen Stadtquartiere kompensiert werden. „Da ein Großteil der Bauvorhaben auf Äckern oder im offenen Grünland stattfinden wird, hat bei der Entwicklung des Ökokontos die Entwicklung von Kompensationsmaßnahmen in sogenannten Offenlandschaften Vorrang“, erklärt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt auf Anfrage des „Berliner Gartenfreundes“. Entsprechend wurden für das Ökokonto sechs „Leitprojekte“ festgelegt, von denen einige bereits in diesem Jahr in die Erprobungsphase gehen sollen: die Malchower Auenlandschaft , die Offenlandschaft Blankenfelder Feldmark, die Waldweidelandschaft Hobrechtsfelde/Buch, das Grüne Band Berlin Süd, der Biotopverbund Wuhletal und die Rieselfelder Karolinenhöhe zusammen mit der Gatower Feldflur.
Kleingärten müssen berücksichtigt werden
Diese Beschränkung auf großflächige Landschaft sräume bei den Ausgleichsmaßnahmen stößt bei
den Berliner Kleingärtnern auf Kritik. „Das Ökokonto greift nach den bisherigen Plänen viel zu kurz“,
meint Michael Matthei, Präsident des Landesverbandes der Gartenfreunde. „So wichtig die Biotopverbünde am Rande Berlins für das ökologische Gleichgewicht sind – allein reichen sie nicht aus, um die Baumaßnahmen der nächsten Jahre zu kompensieren. Denn gebaut wird in der ganzen
Stadt, und auch in der Innenstadt werden vielfältige Ausgleichsmaßnahmen notwendig sein. Deshalb
müssen beim Ökokonto alle Formen des Stadtgrüns berücksichtigt werden. Auch unsere Kleingartenanlagen können und müssen dazu beitragen, dass Berlin trotz Wachstum eine grüne Metropole bleibt.“
Kleingärten keine Favoriten für den Ausgleich
Das sieht man beim Senat allerdings anders: Die Einbeziehung von Kleingartenflächen in das Ökokonto werde „nicht favorisiert“, so der Sprecher. Mehrere Gründe sprächen dagegen: „Kompensationsmaßnahmen auf Gartenparzellen sind in der Operationalisierung der Unterlassungs- und Ausführungspflichten überaus aufwändig, und es ist ungewiss, ob rechtssichere Ausgestaltungen überhaupt gelingen würden.“ Zudem könne eine ökologische Aufwertung für die Kleingärtner „unerwünschte Nutzungseinschränkungen“ mit sich bringen. Und schließlich tauge eine Neuanlage von Kleingartengebieten nur bedingt als ökologischer Ausgleich für Bauprojekte, denn dabei würden durch Lauben, Wege, Vereinsheime und Zäune ja auch wieder Flächen versiegelt. Lediglich auf Gemeinschaftsflächen könnten Kompensationsmaßnahmen „unter Umständen erfolgreich sein“, heißt es zurückhaltend. Beispiele sind etwa die Anlage eines Trockenrasens in der KGA Am Kienberg oder die Renaturierung eines Krötenpfuhls in der KGA Heinersdorf. Allerdings: Diese Maßnahmen müssen über 25 Jahre gewährleistet sein, so die rechtlichen Vorschriften.
Kampf um Anerkennung als Ausgleichsflächen
Sind Kleingärten also nicht grün genug für das Ökokonto? Das Gesamtkonzept, das der Senat im August vorlegte, sieht durchaus auch viele kleinteilige Ausgleichsmaßnahmen vor, die zumindest in einer späteren Phase auf dem Konto „verbucht“ werden können. Dazu zählen etwa Gebäude- und Hofbegrünungen oder die Aufwertung von bestehenden Parks und Grünanlagen. Kleingartenanlagen kommen je doch nicht vor, sehr zum Ärger des Landesverbandes der Gartenfreunde. „Seit vielen Jahren kämpfen wir in Berlin und auf Bundesebene dafür, dass ökologisch aufgewertete Kleingartenanlagen als Ausgleichsflächen anerkannt werden. Nun müssen wir beim Berliner Ökokonto erneut erleben, dass Kleingärten ausgeklammert und als Grünflächen zweiter Klasse behandelt werden“, kritisiert Michael Matthei.
Bericht von Klaus Pranger
Dieser Bericht ist in der Februar-Ausgabe 2020 der Verbandszeitschrift "Berliner Gartenfreund" erschienen und mit freundlicher Genehmigung des Verlags W. Wächter auch hier.
Fotos: Northei (LSG Rieselfelder Karolinenhöhe, Obstbäume. Wikimedia Commons); Rubus Fruticosus (Morgennebel im LSG-39 "Rieselfelder Karolinenhöhe" (Berlin), Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)